Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 231, Februar 2013
Von Katharina Dockhorn
Devid Striesow ist begeistert. Endlich wird die wahre Geschichte des legendären 9. November 1989 erzählt, und das aus der Sicht von Kindern aus der DDR. Für die phantasievolle Geschichte von Sputnik, dem Regiedebüt von Markus Dittrich, stand der Wahlberliner in der Altmark neben Yvonne Catterfeld, Andreas Schmidt und einer Reihe talentierter Nachwuchsdarsteller vor der Kamera. Die MDM fördert die europäische Koproduktion mit 600.000 Euro, der MDR ist als Sender dabei. Der Film ist eines der ersten Zeichen für die Wiederbelebung eines Genres, das auf heimischen Leinwänden und auf dem Bildschirm am Aussterben ist. Kaum ein Produzent wagt sich noch an die Realisierung von Original-Stoffen für Kinder. Denn Filme, die nicht auf erfolgreichen Büchern beruhen, haben es schwer ihr Publikum zu finden – egal ob sie abenteuerlich an den Alltag der Kinder anknüpfen wie Friedrich und der verzauberte Einbrecher oder Der Dolch des Batu Khan oder wie Wintertochter und Blindgänger einfühlsame Dramen erzählen. An der Kinokasse brechen sie oft ein, auch weil sie wie alle Kinderfilme kaum Beachtung in der Kritik finden, wie Uschi Reich, Produzentin von Adaptionen wie Bibi Blocksberg, beobachtet hat.
Der Verband der Deutschen Filmkritik und die FIPRESCI hatten das Manko bereits erkannt und wollen die Aufmerksamkeit für das Genre schärfen. Beim Filmfestival „Schlingel“ in Chemnitz wird 2013 erstmals eine internationale Jury aus Filmjournalisten den besten Film auszeichnen. Der Verband verleiht für 2012 erstmals auch einen Preis für den Besten Kinderfilm des Jahres. Dem wollen auch die Bayern folgen, Hans-Georg Stockinger, Vorsitzender der CSU-Filmkommission, brachte einen Preis für den Besten Kinderfilm im Rahmen der Verleihung der Bayerischen Filmpreise ins Gespräch. Und die Drehbuchautoren wünschen sich eine eigene Lola für Original-Bücher für Kinder bei der Verleihung der Deutschen Drehbuchpreise durch das BKM.
Denn bei den Büchern klafft die erste Lücke. Von 31 bei der FFA in den Jahren 2009 bis 2011 geförderten Kinderfilmstoffen beruhten nur vier auf originären Ideen. Das Fehlen solcher attraktiver Filmstoffe spiegelt sich dann im Wettbewerbsprogramm der Berlinale wieder. Seit Jahren fehlen die passenden Angebote made in Germany für das Generationen-Programm. Und auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen setze lieber auf die x-te Verfilmung eines Märchens, statt Filme über das Hier und Heute zu drehen, wie Drehbuchautorin Katharina Reschke kritisch im Rahmen einer Diskussion zum Kinderfilm in Deutschland anmerkte, zu der die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geladen hatte.
„Wer heute keine Originalstoffe für Kinder produziert und fördert, wird Erwachsene später nicht ins Arthouse-Kino locken können“, schätzt Reschke ein. Nur Johannes Klingsporn, VDF, widersprach der Sorge. Originalstoffe seien kein Wert an sich. Die an der Kinokasse erfolgreichen Kinderfilme hätten auch ein besonders hohes Werbebudget, das sei für Originalstoffe nicht zu generieren. Die mangelhafte finanzielle Unterfütterung des Marketings für diese Filme übersieht auch Karola Wille, Intendantin des MDR, nicht. Nur will sie sich damit nicht zufrieden geben. Die Juristin, deren Lieblingsfilm aus Kindertagen Alfons Zitterbacke ist, hat eine breite gesellschaftliche Diskussion angeschoben. „Ausgangspunkt war eine Podiumsdiskussion beim Medientreffen Mitteldeutschland. Damals habe ich gelernt, dass die Originalstoffe für Kinder in den vergangenen Jahren immer weniger wurden, sowohl im Kino als auch im Fernsehen. Dieses Genre gehört jedoch zu unserem kulturellen Reichtum.“
Wille reagierte damit auf eine Debatte, die der KiKa angestoßen hatte. „Wir sind ins Risiko gegangen, weil diese Filme unverzichtbarer Bestandteil unseres Programms sein sollte“, denkt Sender-Chef Steffen Kottkamp. „Insgeheim fürchteten wird, dass wir über ein Nischen-Programm reden. Prof. Wille hat die Brisanz erkannt.“ Die Intendantin holte Experten wie Oliver Castendyjk, der gemeinsam mit Juliane Müller die Kino- und Fernsehfilmproduktion für Kinder in den Jahren 2005 bis 2010 ausgewertet hat, Förderer, Sender, Produzenten mehrmals an einen Tisch, zuletzt am Oktober 2012 in Erfurt, Sitz des Kika im Herzen des Kindermedienlands Thüringen. Die Strategie ist dabei mehrgleisig. Zum einen werden die Erfahrungen anderer Länder ausgewertet, in denen die Kinderfilmproduktion blüht, was zum Beispiel in Dänemark zu einer großen Beliebtheit der eigenen Produktion bei den Erwachsenen führt. In den meisten skandinavischen Ländern regeln Quoten den Anteil der produzierten Kinderfilme. Für Wille sind sie nur das letzte Mittel, wenn nichts anderes geht. Die deutsche Politik hat bereits erste Weichenstellungen in diese Richtung in Aussicht gestellt.
Wolfgang Björnsen, MdB CDU, verspricht, dass die Unterstützung von Kinderfilmen größeres Gewicht im Filmförderungsgesetz erhalten wird – der von der Bundesregierung am 7. November beschlossene Gesetzentwurf löst dies aber nicht ein. Hier muss noch nachgebessert werden. Auch die Länder ziehen mit, in Erfurt saßen beim Startschuss der Initiative für den besonderen Kinderfilm neben Manfred Schmidt von der MDM, wo der Kinderfilm schon immer besonders gepflegt wurde, auch Klaus Schäfer (FFF Bayern) und Vertreter der Film- und Medien-Stiftung NRW mit am Tisch. Sie wollen die provokante Einschätzung von Katharina Reschke widerlegen, dass es attraktiver sei mit Tom Tykwer als mit einem popligen Kinder-Cast auf dem Foto zu sein.
Zweiter Baustein der Initiative ist eine Änderung im Fernsehprogramm, von dem der Filmgeschmack der Kinder schon früh mit geprägt werde. Hier dominieren bei den Privaten amerikanische Serien, aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern fehlen attraktive deutsche Produkte, insbesondere Zeichentrickserien, da die Produktion zu teuer sei, schätzt Oliver Castendejk ein. Der Kika beginnt gegenzusteuern, künftig werden mehr Sendeplätze mit Originalstoffen bestückt werden. Sender-Chef Steffen Kottkamp widerspricht der These, dass es keine Bücher gäbe. Die seien sogar so zahlreich, dass nicht alle produziert werden können. „Es ist aber schwierig, sie in den Redaktionen durchzusetzen.“ Davon weiß Bernd Sahling ein Lied zu singen. Seinen neuen Film hat der Gewinner des Deutschen Filmpreises seit 2001 entwickelt, gefördert wurde der Dreh von der MDM, dem BKM und vom Kuratorium Junger Deutscher Film. Zwei Jahre hat er mit dem MDR um die Finanzierung gerungen, anschließend bei allen Sendern die Klinken vergeblich geputzt. Der rbb lehnt nach einem Jahr Verhandlungen ab. Das Medienbaord Berlin-Brandenburg nicht wegen mangelnder Qualität, sondern wegen des fehlenden Senders. Der Produzent musste das Budget halbieren, nur noch 40 Drehtage waren bezahlbar, was bei einem Dreh mit Kindern zu Problemen mit der eingeschränkten Arbeitszeit führt. „Das Projekt war nur durch die Selbstausbeutung der Beteiligten möglich, die ihre Honorare zurück gestellt haben,“ bringt Sahling die Misere auf den Punkt.
Hier setzt Wille an. Sie hat Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi finanzielle Mittel eingeräumt, um künftig Originalstoffe wie Sputnik zu produzieren. Und auch der Kika, der seinen Wirtschaftsplan selbst aufstellt, wird den Etat für diese fiktionalen Projekte aufstocken. „Wir wollen den Produzenten Mut machen, solche Stoffe zu entwickeln, für die wir im Moment die inhaltlichen Kriterien aufstellen,“ kündigt Kottkamp an. „Hier scheint sich ein Umdenken anzubahnen. Insofern wäre es wünschenswert, wenn weitere öffentlich-rechtliche TV-Sender sich dieser Initiative anschließen würden,“ denkt Manfred Schmidt, MDM. „In der Zukunft wollen wir die besten Autoren und Regisseure für solche Projekte zu gewinnen. Das halte ich für möglich, wenn sich die Realisierungschancen für Kinderfilme verbessern.
Welche neuen Wege bei der Entwicklung und Vermarktung des besonderen Kinderfilms gegangen werden können, muss mit den verschiedenen Beteiligten diskutiert werden. Möglicherweise könnte man mit einer Dachmarke arbeiten.“ Denn als letztes Nadelöhr bleibt das Kino, wo es der Kinderfilm durch die flächendeckende Etablierung von Ganztagsschulen heue schwerer im Kino hat als vor einigen Jahren. Viele Initiativen bemühen sich, Kids und Teenager an die Filmkunst heranzuführen. Kaum ein Kino gewinnt einen Programmpreis ohne Angebote für Kids. Bewährte Projekte wie die Schulkinowochen oder das Spatzenkino sowie das Programm „Kinderfilm des Monats“ in Berlin stehen dabei neben neuen Programmen wie die Kinderfilminitiative „Kids ins Kino“ der AG Kino, die vom Ministerium Anette Schavans im Rahmen von „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ gefördert wird. Das über vier Jahre laufende Projekt, bei dem das Institut für Kino- und Filmkultur als Partner gewonnen wurde, soll Kinder wieder in den Erlebnisraum Kino zurückholen. Gemeinsam mit Partnern aus der Region oder sozialen Netzwerken können die Betreiber Programme für die Altersgruppe von 5 bis 13 zusammenstellen, die über das reine Filmabspiel hinausgehen. Die Erfahrungen werden von der AG Kino ausgewertet und gebündelt.
In die Initiative wird „KidsFilm“ eingebettet, ein spezielles Angebot für Kinobetreiber mit ausgewählten Kinderfilmen, das erstmals beim Filmfest München gezeigt wurde. Seitdem war die vierte Kinderfilm-Reihe der AG-Kino in mehr als 20 Kinos zu sehen, unter anderem in Bonn, Starnberg und Dresden. Doch im aktuellen Kinoprogramm haben es diese Filme schwer, was nicht zuletzt den fehlenden Mitteln für Marketing und Werbung im Verleih geschuldet ist. Auch wenn Manfred Schmidt sagt: „Das ist einer der Förderschwerpunkte der MDM, nicht nur, aber auch mit Blick auf das Kindermedienland Thüringen. Das betrifft genau so die Verleihförderung von Kinderfilmen. Hier ist Kontinuität geplant.“
Doch auch hier ist Karola Wille pragmatisch. Wenn ARD und ZDF viel Geld in die Produktion dieser Filme stecken, sollten sie auch beim Kinostart für sie im Programm aufmerksam machen und für sie werben – mit oder ohne Medialeistungen. Der analytische Blick der neuen MDR-Intendantin tut der deutschen Filmbranche gut. Sie will Probleme angehen und lösen, holt die richtigen Partner an einen Tisch und löst jahrelangen Stillstand auf. Mit dieser Herangehensweise kann sie manch verkrustete Struktur in der Filmszene auflockern.