Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 233, April/Mai 2013
Förderung essen Produzenten auf
Soll es so weitergehen wie bisher im deutschen Film? Auf keinen Fall, meint der Produzent Martin Hagemann. Seine Firma zero fiction film produzierte u.a. Das Turiner Pferd von Béla Tarr. Der Film lief 2011 im Wettbewerb der Berlinale und gewann den Silbernen Bären. 2012 gewann seine deutsch-israelische Dokumentarfilmproduktion The Law in These Parts das Festival in Sundance. Martin Hagemann unterrichtet an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg, er ist Vorstandsmitglied der AGDOK, sowie Beiratsmitglied des DFFF.
Ellen Wietstock:
Es gibt in Deutschland sehr viel Geld für Filmförderung, das Budget des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) ist gerade noch einmal um zehn Mio. Euro auf insgesamt 70 Mio. pro Jahr erhöht worden. Und trotzdem: Warum ist es Deiner Meinung nach an der Zeit, über eine tiefgreifende Umstrukturierung des jetzigen Fördermodells nachzudenken?
Martin Hagemann:
Die Frage, die mich beschäftigt, lautet: Wie kann es sein, dass wir über das meiste Filmfördergeld in der Welt nach Frankreich verfügen und so wenige bemerkenswerte Filme entstehen? Kein Mensch kann mit dem Erreichten zufrieden sein. Wir sind auf den Festivals nicht wirklich mehr präsent. Der Marktanteil des deutschen Films hat sich zwar erfreulicherweise in den letzten zehn Jahren rund um 20% eingependelt. Wenn man jedoch die zwei, drei Blockbuster des Jahres herausnimmt, die im Grunde immer von den gleichen Leuten produziert werden, bleibt für die anderen deutschen Produktionen ein Marktanteil, der unter dem von Österreich liegt. Die Österreicher gewinnen dafür aber regelmäßig einen Oscar und Auszeichnungen auf den großen Festivals.
Ellen Wietstock:
Von wem sollte dieses öffentliche Nachdenken über das Filmförderwesen ausgehen? Sind die Förderer in Gestalt der Geschäftsführer/innen Bündnispartner der Produzenten oder eher geliebte Feinde? Welche Rolle können sie in dieser Debatte spielen?
Martin Hagemann:
Mein Eindruck ist, dass die Produzentenverbände – hier vor allem die Produzentenallianz und die AGDok – dringend zusammen mit den Verbänden der Kreativen über eine neue Struktur der Filmförderung nachdenken sollten, zumal die Etablierung des Fördersystems vor über 40 Jahren auch von der Filmbranche selber ausging. Eigentlich müssten auch die Filmförderer daran interessiert sein, mit uns über ein neues Modell nachzudenken. Wenn man sich aber die Verfestigung des Systems in den letzten zehn, fünfzehn Jahren anschaut, habe ich da wenig Hoffnung. Es gibt inzwischen mehr Leute, die sich um Förderung kümmern, als Leute, die wirklich kreativ und produktiv den deutschen Film voranbringen. Schon auf einer Diskussionsveranstaltung Mitte der Nuller-Jahre im Filmboard Berlin Brandenburg zum Thema Film und Marketing meinte Dagmar Rosenbauer: „Wenn ich mich so umschaue, sitzen hier mehr Leute, die den Film beraten, als Macher. Eine Branche, die mehr Berater und Förderer als Macher hat, die ist krank.“ Dem ist heute leider nichts hinzuzufügen, im Gegenteil, die Sache ist eher noch schlimmer geworden.
Ellen Wietstock:
Aber es werden doch so viele Regisseure, Autoren, Produzenten und Kameraleute an den zahlreichen Filmhochschulen ausgebildet, zu viele, wie einige Branchenteilnehmer meinen.
Martin Hagemann:
Die Frage nach der Ausbildung ist ein typischer Reflex auf die allgemein empfundene Krise nach dem Motto: „Wen kann ich bashen, ohne dass ich selber Federn lassen muss?“ Momentan wird eben auf den Klotz „Wir bilden zu viele Leute für den Filmbereich aus“ eingeschlagen. Letztes Jahr war es der Slogan: „Wir haben zu viele Filme!“ Richtig ist aber, dass wir nicht mehr oder weniger Filmhochschulen haben als vor zehn Jahren, und diese entlassen auch nicht mehr oder weniger Regisseure im Jahr in den Markt.
Wichtiger ist für mich, dass sich im Filmfördersystem eine Struktur etabliert hat, in der sich aufgrund der vielen selektiven Förderungen durch verschiedenste Gremien und durch die im FFG und den Förderrichtlinien festgeschriebenen Erfolgskriterien bestimmte „terms of trade“ und bestimmte „terms of decision“ entwickelt haben. Was soll das heißen? Erst mal das Positive: Die innovativste Entwicklung des deutschen Fördersystems war aus meiner Sicht die Einführung des DFFF, weil mit dem Automatismus vor der Produktion ein Paradigmenwechsel im deutschen Fördersystem vollzogen wurde. Diese Form der automatischen Förderung des DFFF sollten wir fortschreiben. Denn im jetzigen System sind die inhaltlichen Entscheidungen der Fördergremien für Produzenten letztendlich nicht wirklich nachvollziehbar. Momentan ist Filmförderung meist wie Lotterie, nur mit etwas besseren Chancen.
Vor allem die unabhängigen mittleren und kleineren Produzenten, das Gros der Branche, sind in unserem bisherigen Fördersystem entkapitalisiert worden. Dies passierte letztlich nur durch die in Europa ansonsten weitgehend unbekannten geforderten Eigenmittelanteile, die aufgrund des fehlenden heimischen Marktes (Lizenzen müssen im Normalfall zur Finanzierung verwendet werden) nicht mehr recoupt werden konnten. So sind die Produzenten letztendlich in eine Notlage gedrückt worden – das zeigen die aktuellen Studien der Produzentenallianz und der AG Dok. In dieser Notlage fallen dann Entscheidungen über das, was in Deutschland produziert wird, nicht mehr in den kreativen Produktionsfirmen, sondern in anonymen Fördergremien, in denen vor allem die Fernsehanstalten ihr Produkt mitfördern lassen. Die inhaltlichen Entscheidungen fallen darüber hinaus in den Verleihfirmen, in denen sich das Kapital der Branche heute befindet. Damit ist der player in der Branche an die Wand gedrückt worden, der bis vor 10-15 Jahren über die Inhalte entschied, allerdings auch immer das gesamte Herstellungsrisiko hatte. Der unabhängige Produzent, die Produzentin von heute hat im Prinzip nur noch das Herstellungsrisiko, lebt aus der Herstellung. Der Produzent fällt seine Entscheidung für ein bestimmtes Projekt danach, was in den Förderungen geht, was im Sender geht, vor allem aber sieht er zu, wie er am schnellsten wieder an cash flow kommt, weil er nur noch von cash flow zu cash flow hetzt. Das führt zu einer kreativen Stagnation. Auftragsproduktion allerorten.
Ellen Wietstock:
Wie ließe sich Bewegung in das starre Gebäude des Filmförderwesens bringen? Haben die Förderer überhaupt ein offenes Ohr für Veränderungen auf der Verwaltungs- und Entscheidungsebene?
Martin Hagemann:
Natürlich gibt es in jeder Institution ein Bedürfnis, die eigenen Arbeitsplätze zu sichern, das ist absolut verständlich. Auf der anderen Seite ist es leider so, dass diese Apparate, und da kann man mittlerweile das deutsche Förderwesen mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten vergleichen, zum Selbstzweck hin tendieren. Der DFFF setzt für die deutsche Filmbranche mit vier Mitarbeitern 70 Mio Euro um. Die FFA, die die gleiche Summe in der deutschen Filmwirtschaft einsammelt und an sie zurückgibt, arbeitet mit einem mehrfachen an Personal. Wenn wir dann noch die zahlreichen Länderförderungen dazu nehmen, kommt man auf schätzungsweise 300 Leute, die sich heute bundesweit um Filmförderung kümmern.
Ellen Wietstock:
Kommt der DFFF deshalb mit weniger Mitarbeitern aus, weil es sich bei den Fördermitteln um reine Subventionen handelt?
Martin Hagemann:
Das hängt sicher auch damit zusammen, aber es müssen auch keine Gremiensitzungen vorbereitet werden. Es gibt klare Bedingungen in einem Automatismus. Der Produzent weiß, wann er diese Bedingungen erfüllt hat, und wann es sinnvoll ist, einen Antrag einzureichen. Meines Wissens werden beim DFFF 95% der dort eingereichten Anträge auch gefördert. Bei den anderen Förderinstitutionen liegt diese Quote zwischen 10% und 30%. Das bedeutet, es sind bis zu 10mal so viele Anträge zu bearbeiten. Die Produzenten reichen ja auch in der Regel nicht in einem, sondern auf Verdacht auch gleich in mehreren Bundesländern ein. Bei einem Automatismus hätten wir weitgehend keine Gremien mehr. In der FFA gibt es zur Zeit für die verschiedenen Fördertöpfe inklusive Stellvertreter 280 Gremienmitglieder, alles honorige, verantwortungsvolle Freiwillige, keine Frage – für Produzenten aber ein Spiel, das jedes Mal von vorne losgeht und nicht einschätzbar ist.
Was muss sich ändern? Mir schwebt neben der Stärkung des Automatismus ein Fördersystem vor, in dem es eine stärkere Aufteilung zwischen wirtschaftlich geplanten und künstlerisch gedachten Projekten gibt. Wenn ich diese Idee vortrage, bekomme ich häufig zu hören, ich wäre ja nur auf eine Daueralimentierung der Produzenten aus. Diesen Vorwurf kann ich nicht ernst nehmen. Automatisierung bedeutet, dass sich die Produzenten stärker transparenten Kriterien stellen müssen, wenn sie die Autonomie in der Entscheidung über ihre Stoffe und Filme wiedererlangen wollen. Das soll heißen: Wenn ich als Produzent Förderung von bis zu 50%, teilweise bis zu 80% für einen Film erhalte und diese Förderung für einen kommerziell oder kulturell gedachten Film einsetze, muss ich doch zeigen, dass ich einen bestimmten Betrag wieder zurückzahlen kann, dass ich bestimmten kulturellen Erfolgskriterien auch genüge. Da jeder weiß, dass dies im Filmgeschäft nicht unbedingt gleich mit einem Film gelingt – das gelingt auch Hollywood nicht – ginge es um Verpflichtungen für ein Portfolio, bzw. für mehrere Filme in mehreren Jahren. Die Produzenten, die sich entscheiden, kommerziell zu arbeiten, können beispielsweise drei bis fünf Filme innerhalb des Automatismus produzieren. Innerhalb dieses Zeitraums, dieser Anzahl von Filmen müsste es dann aber gelingen, zumindest für einen oder zwei Filme die Fördersumme zurückzuzahlen. Gelingt dies nicht, scheidet man aus dem Automatismus aus.
Wer Filme produzieren will, die auf künstlerische Kriterien zielen, orientiert sich dementsprechend an einem Kriterienkatalog, der aus kulturellen Kriterien und anderen box-office-Erwartungen bestehen würde. Die FFA hat ja schon im Rahmen der Referenzfilmförderung einen Punktekatalog entwickelt, der zum Beispiel Festivalteilnahmen, Auszeichnungen etc. berücksichtigt. Es sollten noch weitere Kriterien hinzukommen, zum Beispiel, was in der Öffentlichkeit für kulturell wichtig und künstlerisch erfolgreich gehalten wird, was gesellschaftlich gewollt ist, welche speziellen Genres (Dokumentarfilm, Kinderfilm) besonders gefördert werden sollten etc.. Soll heißen: Wer über diese automatische Förderung künstlerisch wertvolle Filme finanziert bekommt und es in fünf Jahren nicht einmal schafft, im Wettbewerb eines A-Festivals aufzutauchen oder z.B. bundesweit in den Schulen gespielt zu werden, hat offensichtlich seinen Job nicht verstanden. Dann müsste auch er oder sie aus der automatischen Förderung ausscheiden. Das wäre ja kein Berufsverbot, er könnte fürs Fernsehen arbeiten, sie kann kommerzielle Filme machen oder die Projekte könnten anderweitig finanziert werden. Nur wenn wir uns als Produzenten diesem Risiko stellen, müssen wir auch die Entscheidungsgewalt über die Inhalte und Formen der Filme, mit denen wir ins Risiko gehen, zurückerlangen.
Ellen Wietstock:
Noch einmal zu den Rückflüssen. Meines Wissens zahlen selbst die großen Produktionsfirmen von erfolgreichen Filmen sehr selten Fördergelder zurück.
Martin Hagemann:
Ich habe keinen genauen Überblick über die Höhe der Rückflüsse bei den deutschen Förderungen. Wir brauchen nicht nur Transparenz bei den Sendern, wie sie zur Zeit von der Produzentenallianz und der AG Dok gefordert wird, sondern wir brauchen auch Transparenz bei den Förderungen, weil es sich auch dort um öffentliches Geld handelt. Wer wie viel Förderung bekommt, lässt sich noch nachvollziehen; teilweise ist aber nicht mehr erkennbar, was ist Referenzfilmförderung, was kommt aus dem Topf mit „frischem“ Geld. Welcher Produzent wie viel zurückzahlt, ist überhaupt nicht bekannt. Die derzeitige Rückzahlungsquote, die von den Förderern immer etwas nebulös mit „auf jeden Fall unter 5%“ angegeben wird, müsste sich deutlich steigern lassen.
Dass wir zur Zeit trotz 20% Marktanteil so wenig Rückflüsse haben, liegt meiner Meinung nach an der Förderstruktur der deutschen Filmbranche und einigen vertikal aufgestellten Firmen und Konzernen. Wir haben auf der einen Seite die Produzenten, auf der anderen die Verleiher und anderen Verwerter. Die Verleiher sind die kapitalstärksten Player am Markt. Sie können relativ hohe Minimumgarantien zahlen und kommen für die Verleihvorkosten auf. Sie verdienen vorrangig die Minimumgarantien und die Verleihvorkosten aus allen Einnahmen vorab zurück. Während sie diese Kosten zurückverdienen, zweigen sie aber als erstes bereits ein gutes Drittel der Erlöse als ihr Honorar ab. So bietet es sich für die Verleihfirma an, laufend die Verleihvorkosten zu erhöhen, mit verschiedenen Verwertungsstufen zu „crossen“ oder gar mit anderen Filmen zu verrechnen. So werden alle Kosten an den Produzenten weitergereicht, bis der Film endgültig beim letzten Zu- schauer angekommen ist, ohne dass der Produzent auch nur einen Euro verdient hat. Er bleibt damit auf seinen Eigenmitteln, seinem Investment sitzen.
Die einzigen „Produktionsfirmen“, die diese „terms of trade“ zum eigenen Nutzen voll und ganz ausschöpfen können, sind die vertikal aufgestellten Firmen und Konzerne, die über die Produktionsfirmen Förderung bekommen, keinen Gewinn machen, aber in den Verleiharmen diese Gewinne realisieren. So kommt es selbst bei Besuchermillionären vor, dass kein Cent an die Produzenten zurückfließt. Das heißt, man bekommt als Produktionsfirma Produktionsförderung, der Verleih macht aber letztendlich die Gewinne, und dadurch kann bzw. braucht der Produzent nur wenig oder gar nichts an die Förderung zurückzuzahlen. Das wissen die Förderer, sie kennen die Zahlen, aber sie legen sie nicht offen, weil sie diese starken Firmen und Konzerne – um des hohen Marktanteils dieser Firmen willen – meinen, schützen zu müssen. So das immer wieder gehörte Argument. Das ist für mich aber keine Begründung, sondern eher eine Offenbarung. Wenn eine Firma mit erfolgreichen Filmen Jahr für Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag an Förderung bekommt und nicht in der Lage ist, wenigstens während eines Zeitraums von fünf Jahren einen Jahresförderbetrag zurückzuzahlen, dann wird hier schlichtweg öffentliches Geld privatisiert.
Ellen Wietstock:
So lässt sich das Filmfördersystem auch beschreiben – die Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert. Wo wäre denn am ehesten eine Bereitschaft zur Umstellung auf eine automatisierte Förderung anzutreffen, vielleicht bei der FFA?
Martin Hagemann:
Nein, die FFA ist seit fünf Jahren aufgrund der Klage durch einige Kino-/Verleihketten bewegungsunfähig. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Das Verfassungsgericht entspricht der Klage, und dann ist das deutsche Fördersystem so oder so am Ende angelangt. Sollte aber, womit eigentlich viele rechnen, der Klage widersprochen werden, dann wäre das FFG bestätigt. Kulturstaatsminister Neumann hat dankenswerterweise die nächste Novelle zum FFG nur auf drei Jahre angelegt. Meiner Meinung nach könnten wir jetzt schon mit punktuellen Reformen anfangen, um nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Fördersystem komplett neu aufzustellen. Da von dem FFG auch immer ein starkes Signal in Richtung der Länder ausgeht, wäre zu hoffen, dass die nächste FFG- Novelle eine wirkliche Novelle wird, an der alle von Grund auf mitarbeiten.
Dabei sollte es erst einmal um die Finanzierung der bundesweiten Filmförderung gehen. Zum Beispiel wird von Seiten der klageführenden Kino- und Verleihketten in der Klageschrift explizit aufgeführt, sie seien gar nicht am deutschen Film und am Arthouse-Kino interessiert. Vielmehr sei ihr Publikum ausschließlich am Entertainment interessiert. Meine Frage lautet dann aber: Warum wird in solchen Kinos eine Mehrwertsteuer von nur sieben Prozent erhoben? Warum wird die Mehrwertsteuer nicht erhöht? Einen Teil dieser Mehreinnahmen könnte man an das Finanzministerium zurückgeben – als Kompensation für den DFFF. Einen wesentlich größeren Teil könnte man für die Förderung der sogenannten Kriterienkinos nehmen, die für die Versorgung in der Fläche wichtig sind. Sie erhielten – ähnlich wie in Frankreich – einen Zuschuss aus diesen Mehreinnahmen für das Abspiel deutscher Filme – dies als Kompensation für die erhöhte Mehrwertsteuer, der Rest wäre genug, um die jetzige Produktionsförderung der FFA aufrechtzuerhalten – ohne Abgaben. So wären alle Kinos – auch die Entertainment-Ketten von der Abgabe befreit und die FFA wäre ihre lähmen- den, unproduktiven Streitigkeiten los und könnte sich voll und ganz auf die Produktions- und Verleihförderung konzentrieren.
Auch die Fernsehanstalten wären dann von einer Abgabe befreit, ihre Beteiligung an den Gremien wäre nicht mehr vonnöten. Nun behaupten die öffentlich-rechtlichen Sender ja auch aktuell, dass sie gar nicht mehr an Kino-Coproduktionen interessiert seien. Hier ist deshalb die Politik dringend gefordert. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kann sich nicht per Selbsterklärung aus dem deutschen Kinofilm verabschieden, der gemäß mehrerer Urteile zur Grundversorgung gehört. M.E. müssen die Sender über eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrages schnellstmöglich verpflichtet werden, sich an der Verbreitung deutscher Kinofilme nach der Kinoauswertung zu beteiligen, wie das in Italien, Spanien und Frankreich schon lange der Fall ist. In diesen Ländern fließen zwei bis drei Prozent des Haushalts der öffentlich-rechtlichen Sender in den einheimischen Kinofilm. Ein nachahmenswertes Modell: Die Programmhoheit würde gewahrt, indem das Ganze als Lizenzankauf funktioniert. Es müssten allerdings auch Sendeplätze dafür geschaffen werden. Das wäre ein wichtiger Beitrag der öffentlich-rechtlichen Sender – und für den Kinofilm wesentlich sachdienlicher als die jetzige im europäischen Vergleich minimale Beteiligung der Sender an den Förderungen und damit in den Gremien.
Ellen Wietstock:
An wen wendet sich die Branche mit diesen vernünftigen Vorschlägen, wie Du sie jetzt gerade formuliert hast?
Martin Hagemann:
Die Politik vertritt noch gegenüber der Filmbranche die Meinung: Glaubt ja nicht, dass wir Eure Hausaufgaben machen. Ich halte das für einen Fehler. Das ist das „Modell Deutschland“, Stichwort „Sozialpartnerschaft“, „Solidargemeinschaft“ etc. aus den 70er Jahren, der Zeit, aus der die meisten Förderstrukturen ja auch stammen. Wir leben inzwischen aber in einem wesentlich stärker ökonomisierten, unmoralischeren Geschäftsumfeld als noch vor zwanzig Jahren. Die Solidarität zwischen Produzenten und Verwertern war immer diffizil, wenn nicht prekär, sie hat sich in den letzten Jahren leider nur noch zum Nachteil der Produktionsfirmen ausgewirkt. Aber die Verwerter sind nicht die Hauptfinanziers des deutschen Kinofilms, 47% der Finanzierung der deutschen Filme kommt von der Öffentlichkeit. Und die Öffentlichkeit wird repräsentiert durch die Politik. Das heißt, die Politik ist aufgefordert, zu handeln.
Ein Beispiel: In England, Holland und Österreich ist das Problem der Unterkapitalisierung der Produzenten von der Politik begriffen worden. Das British Film Institute hat mit Übernahme der englischen Förderung als allererstes einen obligatorischen Korridor „from the top“ für Produzenten eingeführt. Wenn in England Gelder aus dem „tax shelter“ mit Förderungen des British Council kombiniert werden, haben diese Förderungen gleichen Status im recoupment, und zwar zugunsten des Produzenten. In Österreich ist gerade ein Mindest-Fünf-Prozent-Korridor für die Produzenten „from the top“ jeder Einnahme, jeder Verwertung, eingerichtet worden. Natürlich kann jeder Ver- werter seine Vorkosten vorrangig zurückspielen, aber sobald er anfängt, Honorare zu beanspruchen, muss ein Korridor für Produzenten eingeräumt sein. Die deutschen Förderer und die deutschen Solidargremien in der FFA sind für solche Fragen nicht zu haben. Man bekommt bei solchen Diskussionen als Antwort, die Förderer wären nicht dazu da, in den Markt einzugreifen und die „terms of trade“ zu kontrollieren. Ich frage mich nur, wer vertritt dann die fast 50%-ige Finanzierung deutscher Filme eigentlich in Verhandlungen? Die Produzenten können es nicht, weil sie sich aufgrund ihrer Unterkapitalisierung- und der cash-flow-Problematik in einer umfassenden Abhängigkeit von den Förderern, den Verwertern und den Sendern befinden. Deshalb sind wir auf die Politik angewiesen und müssen diese Probleme der ungerechten „terms of trade“, der Unterkapitalisierung und der fehlenden Entscheidungsgewalt über unsere Filme auch mit der Politik zusammen angehen.
Ellen Wietstock:
Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten sind nervös. Jetzt wird die neue Haushaltsabgabe damit begründet, dass sie auch dazu beiträgt, dass Deutschland zu Oscar-Ehren kommt. Es gibt den Vorschlag der AG Dok, ein bis zwei Prozent der Haushaltsabgabe für Projekte von unabhängigen Filmemachern und für Verwertungsplattformen zu verwenden, denn öffentlich-rechtliches Fernsehen muss nicht zwangsläufig ARD und ZDF heißen. Nach welchen Kriterien sollte Deiner Meinung das Geld dann verteilt werden?
Martin Hagemann:
Es gibt nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender viele Leute, die gerne etwas ändern möchten, es gibt viele Ideen auf der Programmseite, auf der Distributionsseite, wie und auf welchen Kanälen, Fernsehen in Zukunft stattfinden kann. Es gibt aber auch hier das Schwergewicht der Bürokratie – die Sender nähern sich langsam, aber sicher dem Zustand der Sowjetunion kurz vor Gorbatschow. Wer aber ist der Gorbatschow der öffentlich-rechtlichen Sender? Auch hier ist die Politik gefordert. Glücklicherweise ist die Politik nicht mehr so abhängig vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wie noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Da wären überhaupt keine Diskussionen möglich gewesen. Kleine Schritte passieren in den Rundfunkänderungsstaatsverträgen, nur haben die dort geforderten „terms-of-trade“-Verhandlungen mit den Sendern wenig reale Verbesserungen gebracht. Die Verhandlungen fanden nur deshalb statt, weil die Staatskanzleien in einer Protokollnotiz des letzten Vertrags festgelegt haben, dass die Sender zu Verhandlungen über faire „terms of trade“ verpflichtet sind. Die Produzentenallianz und die Drehbuchautoren haben einen Abschluss verhandelt. Aber niemand außerhalb dieser beiden Verbände kann wirklich feststellen, welche Verbesserungen es in der Substanz gibt. Die AG Dok hat meiner Ansicht nach deshalb zu Recht diese Verhandlungen abgebrochen. Es ist sehr wichtig, dass die Politik diese Fußnote im nächsten Vertrag bestätigt und nicht herausnimmt, wie vom Fernsehen momentan gefordert.
Wenn wir in Deutschland eine lebendige, zeitgenössische, audiovisuelle Medienstruktur inklusive einem starken Kino, einem starken öffentlich-rechtlichen Fernsehen und einem inhaltlich interessanten Internet haben möchten, darf man nicht darauf vertrauen, dass Förderer und Sender sich selber reformieren werden. Hier müssen die Verbände stärker und massiver auftreten. Ich hoffe, dass es der stärksten deutschen Produzentenvereinigung, der Produzentenallianz, fünf Jahre nach Gründung endlich gelingt, ihre inneren Widersprüche zwischen Kinoproduzenten, Fernsehproduzenten, Sendertöchtermitgliedern, Konzernmitgliedern und unabhängigen Produzenten zu thematisieren und für alle eine Strategie zu entwickeln, die gemäß des eigenen Anspruchs der gesamten Branche nützt. Mir geht es hier nicht um Schuldzuweisungen, es geht vielmehr darum, dass endlich alle unterschiedlichen Kräfte und Verbände dieser für unser Gemeinwesen wichtigen, aber doch überschaubaren Branche sich endlich den Herausforderungen der komplett neuen Medienzeit gemeinsam stellt.
Wir stehen mit der Digitalisierung an einer Zeitenwende. Die öffentlich-rechtlichen Sender verwalten rund 7,5 Milliarden Euro, ein ungeheuer hoher Betrag. Zusammen mit den fast 400 Mio. Euro Filmförderung und der Phantasie und der Erfahrung all derer, die an der Verbesserung des deutschen Kinofilms, des deutschen Fernsehens und der Erschließung des Internets interessiert sind, müsste sich doch ein zukunftsfähiges Medienmodell für Deutschland entwickeln lassen. Oder sind wir schon so zynisch und der Meinung, dass nur das viele Geld die guten Ideen verhindern würde. Nein, es sind die jetzigen Strukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Ich kann dem Zynismus überhaupt nicht folgen, dass etwas Gutes nur aus Armut und Mangel entstehen kann.
Es gibt den Vorschlag der AG Dok, aus den sicherlich fließenden Mehreinnahmen der Haushaltsabgabe 10% für eine öffentlich-rechtliche Internetpräsenz zu verwenden – Filme, Nachrichtensendungen, Entertainmentformate. Die Fragen, wie das Geld verteilt wird, ob es dort Rückflüsse gibt, ob diese an den einzelnen Unternehmer oder in das System zurückfließen, will die AG Dok gerne diskutieren, wenn eine breite Koalition aus Politik, Fernsehen, Produzenten und Kreativen einen solchen Vorschlag prüft. Aber mit dem Verweis auf mögliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung einen solchen Vorschlag schon von Anfang an zu diskreditieren, finde ich ignorant.