Mach mir den Claqueur
Von Ellen Wietstock
Klar, gemeckert wurde immer, aber nie war die Unzufriedenheit mit dem Ablauf der Filmpreis-Gala so groß wie in diesem Jahr. Nach dieser Verleihung liegt auf der Hand: So kann es nicht weitergehen. Sollte die Deutsche Filmakademie tatsächlich Wirklichkeit werden, wäre das Nachdenken über die Funktion des Filmpreises sowie die Neukonzeption einer angemessenen Zeremonie eine verdienstvolle Aufgabe. Denn die Branche muß entscheiden, was sie mit der alljährlichen Gala zum höchstdotierten deutschen Filmpreis eigentlich erreichen will: Soll diese dem deutschen Kino vorbehalten bleiben oder soll sie weiterhin als Experimentierfeld für Fernsehmoderatoren dienen, die mit Film nichts zu tun haben und die sich mit ihrer mangelnden Kenntnis der Materie auch noch öffentlich brüsten dürfen?
So dienten die im Berliner Tempodrom versammelten Filmleute und Gäste aus Wirtschaft, Politik und Showbiz in erster Linie als Statisten für die von der ARD durchgeführte Fernsehaufzeichnung, degradiert zu Claqueuren, mit denen der Moderator Jörg Pilawa zum Auftakt des mit Pleiten und Pannen durchsetzten Abends erst einmal Beifall klatschen übte. Widerstand aus dem Publikum regte sich lediglich bei der 45-Sekunden-Redezeitbegrenzung, die so manche hörenswerte Danksagung im Warnton untergehen ließ.
Die Bavaria-Tochter Askania Media, zum fünften Mal in Folge ausführende Firma der Filmpreis-Veranstaltung, weigert sich beharrlich, die Filmclips aus den nominierten Filmen mit notwendigen Angaben zu versehen – die Namen der Regisseure und Produzenten in der Kategorie ‚Bester Film‘ werden weder eingeblendet noch während der Einspielung von der Moderation verlesen. Selbst Insider der Branche brauchten eine gehörige Portion Kombinationsgabe, um die Andeutungen richtig zuzuordnen. Wenn Daniel Brühl, der auch in diesem Jahr den Filmpreis als bester Hauptdarsteller erhielt, so nett von seiner Zusammenarbeit mit „Züli“ (Aladag) erzählt, hat auch nicht jeder den vollständigen Namen des Regisseurs parat. Hier ist eine Moderation gefragt, die in solchen Momenten mit Charme und Sachkenntnis die notwendigen Informationen ergänzt.
Zu den ganz wenigen Lichtblicken der zweieinhalbstündigen Veranstaltung gehörte die Dankesrede von Corinna Harfouch, die ihre Regisseurin Hermine Huntgeburth auf charmante Weise lobte und die Filmpreis-Jury heftig dafür tadelte, daß diese bei den Nominierungen ihre Schauspielerkollegin Marie Bäumer in Oskar Roehlers Film Der alte Affe Angst ignorierte. Elke Heidenreichs Laudatio auf den besten ausländischen Film, The Hours von Stephen Daldry, wäre hier ebenso zu nennen wie die Rede von Ulrich Gregor, dem Gründer und langjährigen Leiter des Internationalen Forums des jungen Films, der mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet wurde. Die ARD hielt seine Bemerkungen mit einem schönen Pasolini-Zitat für nicht sendefähig.
In dieser zurechtgestutzten Form nützt eine Fernsehaufzeichnung dem deutschen Film wenig. Statt Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit für alle prämierten Filme herzustellen, insbesondere für Filme wie Lichter von Hans-Christian Schmid, dessen Kinostart noch bevorsteht, erschienen die meisten Preisträger als unbekannte Wesen auf dem Bildschirm. Dadurch verliert selbst der kinointeressierte Betrachter sehr schnell das Interesse.
Da die Deutschen bekanntlich nur Extreme kennen, machte es sich die Jury (zu) leicht, schaltete den Tunnelblick ein und lud (fast) alle Preise auf Good Bye, Lenin! ab (siehe auch Rubrik ‚Preise‘ auf Seite 17). Der Hauptgewinn in Höhe von 500.000 Euro ist bei der Berliner Produktionsfirma X Filme Creative Pool gut angelegt. Trotz aller Sympathie für die neun Lenin-Preisträger – mehr Umverteilung wäre wünschenswert gewesen.
black box 154, 2003